Apr 282013
 

Zum Vorschlag von Jan Stöß zu einer IBA in Berlin – „Rekonstruktion des historischen Zentrums zwischen Fernsehturm und Schlossplatz“

Bereits seit drei Jahren gibt es in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und in der Zivilgesellschaft eine intensive Debatte über eine IBA Berlin 2020. Aktuell wird das von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt erarbeitete – durchaus kritikwürdige – IBA Konzept unter dem Leitthema „Draußenstadt wird Drinnenstadt“ in den Senat zur Abstimmung eingebracht.

Am 20. April 2013 forderte der Landesparteichef der SPD, Jan Stöß, im Tagesspiegel [1] eine Internationale Bauausstellung zur Rekonstruktion des historischen Zentrums zwischen Fernsehturm und Schlossplatz – für uns der Anlass zu einem erneuten kritisch-konstruktiven Kommentar [2] zur IBA 2020 in Berlin!

1.    Eine IBA im historischen Stadtkern ist das falsche Signal für Berlin!

So wichtig und richtig eine Debatte um die zukünftige Entwicklung der historischen Stadtmitte für Berlins Stadtentwicklung auch ist, die Verknüpfung mit einer „IBA historische Mitte“ setzt stadtentwicklungspolitisch ein falsches Signal. Die Diskussion über die Identität der Stadtmitte kann nicht durch eine vorschnelle bauliche Überformung und Manifestation einseitig entschieden werden.

Vielmehr steht Berlin aktuell vor zahlreichen drängenden Herausforderungen, von denen hier nur einige genannt werden können:

  • Städtebauliche und architektonische Reaktion auf den Klimawandel und die Energiewende;
  • Umgang mit den schwierigen, auto-orientierten städtebaulichen Strukturen des 20. Jahrhunderts;
  • steigende Mieten, die zu Verdrängung und zu einer sozialräumlichen Spaltung der Stadt führen;
  • Förderung einer nachhaltigen Mobilität in der Innen- und Außenstadt;
  • Wachsendes Bedürfnis der Bevölkerung nach Partizipation und Mitbestimmung bei abnehmenden Ressourcen der öffentlichen Hand.

Eine „IBA historische Mitte“ kann für diese drängenden Fragen kaum beispielhafte Lösungen entwickeln, die auch für andere Teile der Stadt oder im internationalen Rahmen von großem Interesse wären. Für die Zukunft Berlins, mit dem Ziel einer nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung, liegen die drängenden Probleme nicht darin, die historische Mitte Berlins mehr oder weniger kritisch zu rekonstruieren. Der Vorschlag vertieft vielmehr die ohnehin vorhandenen Gräben in der Frage der zukünftigen Identitätsfindung für die Berliner Stadtmitte und spaltet die Stadtgesellschaft unnötig weiter. Die Aufnahme und Wertung der historischen Spuren brauchen Zeit und Behutsamkeit. Ein transparenter, offener Diskurs über die historische Mitte Berlins, der alle geschichtlichen Entwicklungsphasen – auch die der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – gleichberechtigt in den Blick nimmt, ist unabdingbar. Eine „IBA historische Mitte“ droht, eine auf Eliten ausgerichtete Klientelpolitik, die an den wirklichen Bedürfnissen Berlins vorbei geht, vorantreiben zu wollen.

2. Top Down ist Stadtplanung von gestern!

In den vergangenen drei Jahren wurden mehrere IBA Konzepte von der Fachöffentlichkeit und der Zivilgesellschaft diskutiert. Dabei wurden die unvermittelten inhaltlichen Brüche, etwa vom Konzept des Prä-IBA-Teams „Hauptstadt – Raumstadt – Sofortstadt“ zu einer „IBA Wohnen“ nach der Abgeordnetenhaus Wahl 2011, heftig kritisiert. Umso erstaunlicher ist es, dass auch im Vorstoß von Jan Stöß alle bisherigen Vorschläge unbeachtet bleiben. Ein IBA-Thema kann nur in einem transparenten und ergebnisoffenen Prozess entwickelt werden, der von einem breiten politischen, zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Spektrum getragen wird. Eine offene Debatte hat zum IBA Thema „Rekonstruktion der historischen Mitte“ nicht stattgefunden, im Gegenteil, die Debatten um den Ort in den vergangenen Jahren haben gezeigt, wie weit Politik, Wirtschaft, Fachöffentlichkeit und die Stadtgesellschaft von einer gemeinsamen Vision entfernt sind. Der Vorschlag von Jan Stöß fordert einseitig die Bebauung, er übergeht damit nicht nur alle bisherigen und laufenden Debatten zum Ort wie zur IBA überhaupt, sondern widerspricht zudem massiv der – auch von SPD und CDU – immer wieder geforderten Prozesskultur und der verstärkten Partizipation „von unten“.

3. Partizipation und Mitwirkung – für wen?

Lokale Initiativen, Baugruppen und -genossenschaften wurden mittlerweile als wichtige Akteure der kreativen und innovativen Stadtentwicklung und -gestaltung anerkannt. Berlin gilt als Experimentierfeld für innovative und selbstbestimmte Ansätze in der Stadtentwicklung und Architektur. In der historischen Mitte – einem Bereich Berlins, auf dem bei der Ausweisung als Bauland nicht nur umfangreiche Restitutionsansprüche [3], sondern auch höchste finanzielle Erwartungen des Immobilienmarktes liegen würden – ist ein Austesten von zukunftsweisenden, innovativen und partizipativen Ansätzen in Architektur und Städtebau nicht zu erwarten und nur schwer realisierbar. Auf das viel diskutierte Thema „Wohnen“ mit dem Versprechen zu reagieren, hier bezahlbare Wohnungen schaffen zu wollen, ist politisch nicht haltbar und ökonomisch äußerst fragwürdig.

Es stellt sich zudem die Frage, was eine Bauausstellung auf dem Rücken von bestehenden oder lang vorbereiteten Bebauungsplänen (z.B. für den Petriplatz oder den Molkenmarkt) im erforderlichen Zusammenspiel von Städtebau und Architektur überhaupt thematisieren und leisten könnte? Hier droht eine IBA schnell in einer Diskussion über Fassadenarchitektur stecken zu bleiben.

4. Konzentration auf die Außenstadt – dort wächst Berlin!

Berlin wächst und es stellt sich die brisante Frage, wo und wie dieses Bevölkerungswachstum untergebracht werden kann – und zwar sozialverträglich, die Anforderungen des Klimawandels und der Energiewende berücksichtigend, ökonomisch machbar und gestalterisch ansprechend. Dieses Wachstum der Stadt bietet die Chance, die „innere Peripherie“ zu reurbanisieren und die problematischen städtebaulichen Strukturen gestalterisch und funktional zu verbessern. Eine nachhaltige und integrierte Stadtentwicklung steht und fällt mit der Verdichtung der Außenstadt – in der heute immerhin schon 2/3 der Berlinerinnen und Berliner leben. Hier sozial und funktional gemischte Wohn- und Lebensräume zu schaffen und diese vor allem mit nachhaltigen Mobilitätsformen in die Stadt einzubinden, ist eine große Zukunftsaufgabe.

Bei aller Diskussionswürdigkeit des derzeitigen IBA-Konzeptes „Draußenstadt wird Drinnenstadt“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt und des Zeitpunktes 2020 wurde hier richtig erkannt, wo Berlin den Herausforderungen der Zukunft begegnen muss: in der Außenstadt, d.h. vor allem in den Gebieten außerhalb des S-Bahnrings. Das vorliegende Konzept muss in den kommenden Monaten konkretisiert und weiterentwickelt werden, wofür wir einen konstruktiven Vorschlag zum Thema „Innere Peripherie reurbanisieren“ erarbeitet haben, der auf dem gemeinsam mit Harald Bodenschatz und Hildebrand Machleidt entwickelten IBA-Vorschlag „Radikal Radial“ basiert. An den Radialstraßen verdichten sich in besonderer Weise die genannten Herausforderungen und eine räumliche Fokussierung der IBA auf einige ausgewählte Radialstraßen kann zu einer inhaltlichen Schärfung des Konzeptes beitragen.

5. Die Außenstadt braucht einen „Ausnahmezustand auf Zeit“ – eine IBA!

Für die Herausforderungen von historischen Stadtzentren wurden in den vergangenen Jahren in Städten wie Dresden, Potsdam oder Frankfurt am Main bereits – durchaus kontroverse – planerische Ansätze entwickelt. Erfahrungen aus diesen Städten müssen in Berlin weiterentwickelt werden – damit lässt sich jedoch keine IBA begründen. Wie in der historischen Mitte Berlins, einem Ort, der perfekt an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen ist, mit dem problematischen Erbe der autogerechten Stadt zukunftsfähig umzugehen ist, ist eher eine Frage der Finanzierbarkeit der Umbaumaßnahmen, als mangelnder städtebaulicher Ideen. Angesichts erfreulicher Touristenströme, der vorhandenen Wohnbevölkerung in den Bauten aus der DDR-Zeit, ihrer Zentralität sowie vielfältigster kultureller und stadthistorischer Anziehungspunkte dürfte die durchmischte, lebendige, ästhetisch ansprechende Gestaltung dieser Räume Verwaltung, Planer und Architekten eigentlich nicht überfordern.

Die wirklich drängenden und teilweise unbequemen Herausforderungen, für die es bislang keine Patentrezepte gibt, liegen jedoch an anderen Orten – und nur für solche äußerst schwierigen und neuen Fragen lohnt das Einberufen einer IBA. In der Außenstadt stößt die Planung, nicht nur in Berlin, mit ihren bisherigen Ansätzen und Instrumenten an Grenzen, hier könnte eine IBA einen Paradigmenwechsel markieren und Antworten etwa auf die folgenden Fragen finden:

  • Wie kann nachhaltig bezahlbarer und dennoch attraktiver Wohnraum geschaffen werden, ohne große Förderprogramme, aber dennoch in Quartieren mit sozialer und funktionaler Mischung?
  • Wie können die Stadtteilzentren und die Nahversorgung in den Außenbezirken gestärkt und städtebaulich/architektonisch qualifiziert werden?
  • Wie kann in Gebieten, die noch nicht optimal an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sind, planerisch der Abschied von der autogerechten Stadt vollzogen werden?

Eine IBA hat die Aufgabe, Wege eines neuen Städtebaus im Experiment zu konkretisieren und städtebauliche Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen zu entwickeln. Eine IBA ermöglicht Experimente und eröffnet Spielräume. Dieser Charakter der IBA muss durch eine außergewöhnliche Qualität des IBA Themas und Ortes erhalten bleiben, sonst sind eine Inflation und ein Abstumpfen des Instrumentes zu befürchten.

Die geäußerten Überlegungen zu einer „IBA historische Mitte“ lassen nicht erwarten, dass diese – für eine IBA grundlegenden – Eigenschaften erfüllt sind. Wir sehen daher in einer „IBA historische Mitte“ kein aussagekräftiges und tragfähiges Konzept für Berlin. Dieser Vorschlag würde das Potenzial Berlins, eine international beachtete Modellstadt für nachhaltige Stadtentwicklung, Städtebau und Architektur zu werden, nicht ernst nehmen und zudem drohen, das Instrument IBA zu beschädigen.

Hier können Sie die Position auch als PDF herunterladen.


[1] Schönball, Ralf: Vorstoß aus der SPD. Schöner wohnen am Roten Rathaus. In: Der Tagesspiegel v. 20.04.2013. Berlin. S. 15. Verfügbar unter: www.tagesspiegel.de/berlin/vorstoss-aus-der-spd-schoener-wohnen-am-roten-rathaus/8095342.html

[2] Think Berl!n plus: Sieben kritisch-konstruktive Thesen zu einer IBA in Berlin. 4.11.2012. Verfügbar unter: www.think-berlin.de/2012/11/sieben-kritisch-konstruktive-thesen-zu-einer-iba-in-berlin/

[3] Paul, Ulrich/Rogalla, Thomas: Stadtplanung Berlin Mitte. Wohnungen am Roten Rathaus. In: Berliner Zeitung vom 22.04.2013. Berlin Verfügbar unter: www.berliner-zeitung.de/berlin/stadtplanung-berlin-mitte-wohnungen-am-roten-rathaus,10809148,22545800.html

Apr 282013
 

Grundsätzliche Herausforderungen

Es ist eine Schlüsselaufgabe des Städtebaus, Energiewende und Klimawandel zu meistern und gleichzeitig attraktive, lebenswerte und bezahlbare städtische Räume zu schaffen. Eine in höchstem Maße inhomogene Raumtypologie rückt dabei international – aber auch in Berlin – in den Fokus des Interesses: die „innere Peripherie“. Gemeint sind damit städtebauliche Strukturen, die zumeist außerhalb des S-Bahnringes bzw. der gründerzeitlichen Wohnquartiere an den großen Hauptstraßen liegen und die hauptsächlich in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zuge des autogerechten Um- und Weiterbaus der Stadt entstanden sind;  die weitgehend monofunktional (gewerblich oder als Wohnraum) genutzt werden und die in ihrer Erschließung größtenteils auf die autogerechte Stadt mit ihren großen Erschließungsstraßen ausgerichtet und wenig fußgängerfreundlich sind, obwohl sie teilweise sogar über eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr verfügen. Diese Räume sind oft städtebaulich fragmentiert und schlecht an ihre städtischen Zubringer angeschlossen, so dass die Flächen nicht ihrem Potenzial und ihrer Lage entsprechend genutzt werden können. Gleichzeitig bieten sie jedoch auch Platz für Nischennutzungen, die u. a. aus ökonomischen Gründen in anderen Teilen der Stadt keinen Raum finden.

Viele dieser Gebiete lagen in den vergangenen 20 Jahren nicht im Fokus städtebaulicher und öffentlicher Aufmerksamkeit, die sich in Berlin vor allem auf das Zentrum sowie auf suburbane Wohngebiete (innerhalb oder außerhalb der Berliner Stadtgrenze) oder einzelne „Leuchtturmprojekte“ wie Adlershof konzentrierte. Aufgrund vielfältiger Herausforderungen müssen diese Bereiche Berlins jetzt jedoch ins Visier genommen werden: Berlin wächst, und es stellt sich die Frage, wie dieses Bevölkerungswachstum (das ja auch ein Wachstum an Arbeitsplätzen und anderen Folgeeinrichtungen wie sozialer Infrastruktur, Einzelhandel, u.a. nach sich zieht) untergebracht werden kann – und zwar sozialverträglich, die Anforderungen des Klimawandels und der Energiewende berücksichtigend, ökonomisch machbar und gestalterisch ansprechend. Das Wachstum der Stadt bietet die Chance, die „innere Peripherie“ zu reurbanisieren und die problematischen städtebaulichen Strukturen gestalterisch und funktional zu verbessern. Wie eine solche Nachverdichtung im Bestand der autogerechten inneren Peripherie aussehen kann, ist weitestgehend unklar – in Berlin ebenso wie im internationalen Kontext. Planern stehen hier bislang kaum geeignete Strategien zur Verfügung. So fehlt es etwa an Konzepten für neue Formen der Nutzungsmischung – besonders auf Parzellenebene. Die Urbanisierung der inneren Peripherie stellt eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre dar – in Berlin, wie international. Ganz besonders verdichten sich diese Fragen an den durch den Individualverkehr geprägten Radialstraßen. Vor diesem Hintergrund lassen sich an konkreten Orten mit konkreten Herausforderungen und Potenzialen in einer Bauausstellung in Berlin exemplarisch lokale Probleme mit neuen Ansätzen lösen, und dabei eine internationale Ausstrahlungskraft entwickeln.

Eine IBA, die sich dem Ringen um eine Energiewende und einer nachhaltigen Stadtentwicklung für alle Bevölkerungsschichten Berlins verpflichtet sieht, muss sich vor diesem Hintergrund mit drei großen Themenfeldern auseinandersetzen, die in ihrer Vernetzung eine konkrete und angemessene strategische Antwort darstellen:

  1. die Nachverdichtung und Anreicherung der inneren Peripherie durch funktional gemischte Strukturen (Wohnungsbau, gewerbliche Nutzungen, Folgeeinrichtungen und öffentliche Räume);
  2. der Umgang mit dem schwierigen städtebaulichen Bestand des 20. Jahrhunderts und
  3. die Förderung einer nachhaltigen urbanen Mobilität.

Die Urbanisierung der inneren Peripherie kann nur gelingen, wenn sie nicht als isolierte Aufgabe betrachtet wird. Sie erfordert außerordentliche ökonomische, soziale und kulturelle Sensibilität. Zudem muss diskutiert werden, wie der Begriff „Urbanisierung“ hier zu verstehen ist. Welche Werte und Qualitäten des „Urbanen“ sollen und können auf die innere Peripherie überhaupt übertragen werden, welche eigenen und neuen Qualitäten dieser Räume müssen definiert werden?

Die IBA kann dazu beitragen experimentelle und neuartige Herangehensweisen zu entwickeln: Ein solcher Umbau der „inneren Peripherie“ muss sozial verträglich gesteuert werden, seine Kosten verteilt werden. Einer weiteren sozialen Spaltung – in Stadtbürger, die es sich leisten können, klimaschützend und klimawandelangepasst zu leben, und solche, die dies nicht vermögen – muss vorgebeugt werden. Unsere Städte sollen in diesem Prozess schöner und nicht hässlicher werden. Die bislang vorherrschende Sichtweise auf die Energieeffizienz eines einzelnen Gebäudes muss auf ganze Stadtquartiere ausgeweitet werden. Der öffentliche Nahverkehr muss städtebaulich attraktiver gestaltet und besser mit dem Fußgänger- und Radverkehr integriert werden. Wohnsiedlungen und autoabhängige Strukturen wie Fachmarktzentren oder Shopping Malls müssen umgestaltet werden, damit sie sich in ihr Umfeld integrieren und besser für Fußgänger und Radfahrer zugänglich sind. Viele Großbauten der Nachkriegszeit müssen in die Stadt re-integriert oder rückgebaut werden. Die Großsiedlungen – ein unverzichtbarer Lebensraum für einen beachtlichen Teil der Berliner Bevölkerung – müssen stabilisiert und in ihrer sozialen und funktionalen Vielfalt erweitert werden. Die zersiedelte suburbane Stadtlandschaft muss im Sinne der Nachhaltigkeit ertüchtigt werden, etwa über die Stärkung von Nahversorgungszentren und Knotenpunkten des Nahverkehrs an den Ausfallstraßen. Hauptstraßen und Plätze müssen etwa durch gestärkte, fußgängerfreundliche lokale Zentren reurbanisiert werden.

Einige dieser Themen werden bereits breit diskutiert, allerdings in der Regel völlig getrennt voneinander, isoliert und sektoral.

1. Nachverdichtung und Anreicherung der inneren Peripherie

In der inneren Peripherie muss es vorrangig darum gehen, den städtebaulichen Bestand so anzupassen und weiterzuentwickeln, dass hier ein nachhaltiges Leben und Arbeiten möglich wird. „Die Idee ist, mit der IBA exemplarische Lösungen dafür zu erarbeiten, (…) die oft monofunktionalen und/oder ungeordneten Stadträume zu attraktiven, lebendigen Quartieren zu entwickeln. Damit könnte die IBA Ansätze hervorbringen, die einerseits dem drohenden Auseinanderdriften von Stadträumen begegnen, andererseits dem steigenden Druck auf die begehrten Wohnviertel in der Inneren Stadt etwas entgegensetzen.“[1]

„Eine Nachverdichtung monofunktionaler Wohn- oder Schlafstädte könnte zum Beispiel in diesem Sinne das Ziel verfolgen, eine funktionale Anreicherung zu gewährleisten (Einzelhandel, Bildungseinrichtungen, Arbeitsorte). Die Schaffung zusätzlichen Wohnraums in Bestandsquartieren mit gemischten Typologien aus der Vor- und Nachkriegszeit könnte zur städtebaulichen Aufwertung, etwa durch das Schließen von Raumkanten, oder zur Umsetzung des Ziels einer nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen (Auslastung von Infrastrukturen, Klimaschutz durch kurze Wege, Vermeidung von Zersiedlung).“[2]

Voraussetzung einer solchen Urbanisierung ist ein Paradigmenwechsel in der städtischen Mobilität der Inneren Peripherie, der auf wachsenden Zuspruch für umweltfreundliches Mobilitätsverhalten, auf die Entwicklung von energieeffizienteren, emissionsärmeren und leiseren Kraftfahrzeugen, auf die steigende Beliebtheit von Fahrrad und Carsharing-Angeboten sowie auf die Konsolidierung und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs setzen muss.

2. Umgang mit dem schwierigen städtebaulichen Bestand des 20. Jahrhunderts

„Als ein zentrales Themenfeld der IBA 2020 rückt der nachhaltige Umgang mit schwierigen städtebaulichen Bestand des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund – der Umgang mit zersiedelten Einfamilienhausgebieten, mit Großsiedlungen, mit nicht integrierten Gewerbeansiedlungen, mit leer stehenden oder untergenutzten Großbauten. Diese baulichen Strukturen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, vor allem aus den 1950er bis 1970er Jahren, offenbaren eine Vielzahl von städtebaulichen Herausforderungen, für die im Berliner Kontext, aber auch international neue Ansätze gefunden werden müssen. Der nachhaltige Umbau dieses Bestandes, der u.a. die Erweiterung der sozialen und funktionalen Vielfalt, Maßnahmen für Klimaschutz und Klimaanpassung, die Verbesserung öffentlicher Räume, die Etablierung und Stärkung von lokalen Zentren und die gestalterische Qualifizierung umfasst, ist ein noch weitgehend ungelöstes Aufgabenfeld von strategischer Bedeutung. Zentral sind hier – über die Klärung der Energieeffizienz hinaus – stadtgestalterische, ökonomische, soziale und kulturelle Fragen, also des gesamten Spektrums der Nachhaltigkeit: Können die Bauten und Anlagen nachhaltig in die Stadt reintegriert werden, und wenn ja, wie, wenn nein, was wären die Alternativen? Ist der damit verbundene Kostenaufwand langfristig vertretbar? Wer bezahlt die Kosten – nicht nur der energetischen Sanierung? Ist die Anlage kulturhistorisch bedeutsam? All diese Fragen müssen mit einer stadtregionalen Perspektive diskutiert werden, und zwar weit über die Innenstadt hinaus.“[3]

Förderung einer nachhaltigen urbanen Mobilität.

„Die städtischen Strukturen im 20. Jahrhundert wurden durch das (private) Automobil extrem beeinflusst – Einfamilienhaussiedlungen und suburbane Gewerbeanlagen wären ohne diese individualisierte Form den Mobilität nicht denkbar, große Teile der Stadt – etwa die historisch vielfältigen Stadträume der Ausfallstraßen – wurden durch den Autoverkehr entwertet. Mit einem Paradigmenwechsel in der Mobilität, der auf wachsenden Zuspruch für umweltfreundliches Mobilitätsverhalten, auf die Entwicklung von energieeffizienteren, emissionsärmeren und leiseren Kraftfahrzeugen, auf die steigende Beliebtheit des Fahrrades und auf die Konsolidierung wie den Ausbau des öffentlichen Verkehrs zurückzuführen ist, wird eine Neudefinition des städtischen Verkehrs erforderlich. Diese Neudefinition wird bislang zumeist als rein sektorales Verkehrs-Thema gesehen, eine Integration mit anderen Themen der Stadtentwicklung und -gestaltung erfolgt nicht in ausreichendem Umfang. Städtebaulich betrachtet erfordert die neue Mobilität von morgen den grundlegenden Umbau des öffentlichen Raums: Vor allem die Hauptverkehrsstraßen und Hauptverkehrsplätze sind die zentralen Orte des notwendigen Wandels. Die IBA kann zur Klärung der Frage beitragen, wie große Straßen im Zeitalter postfossiler Mobilität aussehen müssen, mit drastisch weniger Lärm und Feinstaub, mit Priorität für Straßenbahnen, Busse, Fahrradfahrer und Fußgänger. Die IBA kann Ideen entwickeln, wie der öffentliche Nahverkehr städtebaulich attraktiver gestaltet und besser mit dem Fußgänger- und Radverkehr integriert werden kann. Der damit verbundene Stadtumbau kann nur in einer stadtregionalen Perspektive vorbereitet und umgesetzt werden.“[4]

Räumliches Gliederungskonzept für die IBA 2020

„Eine IBA kann – wie frühere IBAs auch – den zukunftsorientierten Umbau nur exemplarisch anpacken. Für die Auswahl der IBA Gebiete müssen vielfältige Argumente abgewogen werden:

  • Wo konzentrieren sich wichtige Projekte der Stadtplanung in den kommenden Jahren?
  • In welchen Räumen ist eine ökonomische Dynamik zu beobachten, die zur Realisierung von IBA Projekten genutzt und die durch die IBA Organisation in Richtung einer qualitätvollen und nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung gesteuert werden kann?
  • In welchen Räumen konzentrieren sich besondere stadtplanerische Herausforderungen?
  • Wo gibt es bereits ein etabliertes Netz von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in Beteiligungs- und Mitwirkungsprozesse miteinbezogen werden können?
  • Für welche Gebiete stehen bereits heute und in den nächsten Jahren Fördergelder des Landes, des Bundes und der EU bereit?

Die IBA sollte an wenigen Standorten der inneren Peripherie, die entlang der großen Radialstraßen liegen, verortet werden. So wird räumlich und thematisch ein Zusammenhang zwischen den drei strategischen Themen hergestellt. Durch eine Konzentration der IBA nicht auf einzeln gelegene Pilotprojekte, sondern entlang einiger Radialen kann die IBA zum beispielhaften Umbau der Struktur einer Radialstraße beitragen. „Eine wahllose Streuung von Interventionen, die zu keinem sichtbaren Ergebnis führen, wird vermieden“[5].

Strategische Ziele der IBA 2020

1. NACHVERDICHTUNG DER INNEREN PERIPHERIE

  • Qualifizierung und Nachverdichtung einzelner suburbanen Strukturen entlang der Radialstraßen;
  • Entwicklung von Ideen für den Umgang mit großflächigem Gewerbe, mit „Kisten“ und mit typischen „Strip“-Nutzungen;
  • Wiederbelebung von sozialen und kulturellen Infrastruktureinrichtungen an den Radialstraßen; städtebauliche Markierung von wichtigen Kreuzungspunkten.
  • Gestaltung der „Eingänge in die Stadt“ bzw. in die Innenstadt und von Raumsequenzen
  • Anbindung an regionale und lokal wichtige „Grün- und Blauzüge“;

2. UMGANG MIT DEM STÄDTEBAULICHEN BESTAND DES 20. JH.

  • Entwicklung von Perspektiven für Großsiedlungen (funktionale und soziale Diversifizierung, gestalterische Aufwertung) und deren „Klimagerechtigkeit“ durch temporäre und langfristige Maßnahmen.
  • Temporäre und langfristige Nach- und Umnutzungskonzepte für leer stehende Gewerbe- und Industriehallen, Kaufhäuser, Markthallen, Postämter, Schulen, Kraftwerke, Flughafengebäude, Bürogebäude;

3. NACHHALTIGE URBANE MOBILITÄT

  • Minderung der Barrierewirkung der Radialstraßen und großer Verkehrsinfrastrukturen im städtischen Umfeld (S-Bahnlinien, Autobahnen);
  • Gestalterische und funktionale Verbesserung der Flächen für Fußgänger und Radfahrer, Schaffung neuer Verbindungen; Verbesserung der räumlichen und visuellen Anbindung von Fuß- und Radverkehr mit Stationen des öffentlichen Nahverkehrs.
  • Start von Pilotprojekten für nachhaltige Mobilitätsformen, die eine bessere Balance der Verkehrsarten zum Ziel haben;
  • Entwicklung von Konzepten für Knotenpunkte zwischen Radialstraße, Stadtbautobahn, S-Bahn, Kanal, anderen Hauptverkehrsstraßen etc., wodurch die Potentiale von attraktiven Wasserlagen oder exzellenter infrastruktureller Erschließung besser genutzt werden sollen;

Konzept „Innere Peripherie reurbanisieren“ zum Download.

 


[1] Lüscher, Regula (Senatsbaudirektorin): Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Antje Kapek (Grüne) vom 20. 09. 2012: Wie weiter mit der IBA 2020 (II)

[2] Lüscher, Regula (Senatsbaudirektorin): Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Antje Kapek (Grüne) vom 20. 09. 2012: Wie weiter mit der IBA 2020 (II)

[3] Bodenschatz, Harald/Polinna, Cordelia (2011): Perspektiven einer IBA Berlin 2020 – Ein strategisches Gutachten. Gutachten im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin. Berlin, S. 90-123

[4] Bodenschatz, Harald/Polinna, Cordelia (2011): Perspektiven einer IBA Berlin 2020 – Ein strategisches Gutachten. Gutachten im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin. Berlin, S. 90-123

[5] Bodenschatz, Harald/Polinna, Cordelia (2011): Perspektiven einer IBA Berlin 2020 – Ein strategisches Gutachten. Gutachten im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin. Berlin, S. 90-123