Zum Vorschlag von Jan Stöß zu einer IBA in Berlin – „Rekonstruktion des historischen Zentrums zwischen Fernsehturm und Schlossplatz“
Bereits seit drei Jahren gibt es in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und in der Zivilgesellschaft eine intensive Debatte über eine IBA Berlin 2020. Aktuell wird das von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt erarbeitete – durchaus kritikwürdige – IBA Konzept unter dem Leitthema „Draußenstadt wird Drinnenstadt“ in den Senat zur Abstimmung eingebracht.
Am 20. April 2013 forderte der Landesparteichef der SPD, Jan Stöß, im Tagesspiegel [1] eine Internationale Bauausstellung zur Rekonstruktion des historischen Zentrums zwischen Fernsehturm und Schlossplatz – für uns der Anlass zu einem erneuten kritisch-konstruktiven Kommentar [2] zur IBA 2020 in Berlin!
1. Eine IBA im historischen Stadtkern ist das falsche Signal für Berlin!
So wichtig und richtig eine Debatte um die zukünftige Entwicklung der historischen Stadtmitte für Berlins Stadtentwicklung auch ist, die Verknüpfung mit einer „IBA historische Mitte“ setzt stadtentwicklungspolitisch ein falsches Signal. Die Diskussion über die Identität der Stadtmitte kann nicht durch eine vorschnelle bauliche Überformung und Manifestation einseitig entschieden werden.
Vielmehr steht Berlin aktuell vor zahlreichen drängenden Herausforderungen, von denen hier nur einige genannt werden können:
- Städtebauliche und architektonische Reaktion auf den Klimawandel und die Energiewende;
- Umgang mit den schwierigen, auto-orientierten städtebaulichen Strukturen des 20. Jahrhunderts;
- steigende Mieten, die zu Verdrängung und zu einer sozialräumlichen Spaltung der Stadt führen;
- Förderung einer nachhaltigen Mobilität in der Innen- und Außenstadt;
- Wachsendes Bedürfnis der Bevölkerung nach Partizipation und Mitbestimmung bei abnehmenden Ressourcen der öffentlichen Hand.
Eine „IBA historische Mitte“ kann für diese drängenden Fragen kaum beispielhafte Lösungen entwickeln, die auch für andere Teile der Stadt oder im internationalen Rahmen von großem Interesse wären. Für die Zukunft Berlins, mit dem Ziel einer nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung, liegen die drängenden Probleme nicht darin, die historische Mitte Berlins mehr oder weniger kritisch zu rekonstruieren. Der Vorschlag vertieft vielmehr die ohnehin vorhandenen Gräben in der Frage der zukünftigen Identitätsfindung für die Berliner Stadtmitte und spaltet die Stadtgesellschaft unnötig weiter. Die Aufnahme und Wertung der historischen Spuren brauchen Zeit und Behutsamkeit. Ein transparenter, offener Diskurs über die historische Mitte Berlins, der alle geschichtlichen Entwicklungsphasen – auch die der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – gleichberechtigt in den Blick nimmt, ist unabdingbar. Eine „IBA historische Mitte“ droht, eine auf Eliten ausgerichtete Klientelpolitik, die an den wirklichen Bedürfnissen Berlins vorbei geht, vorantreiben zu wollen.
2. Top Down ist Stadtplanung von gestern!
In den vergangenen drei Jahren wurden mehrere IBA Konzepte von der Fachöffentlichkeit und der Zivilgesellschaft diskutiert. Dabei wurden die unvermittelten inhaltlichen Brüche, etwa vom Konzept des Prä-IBA-Teams „Hauptstadt – Raumstadt – Sofortstadt“ zu einer „IBA Wohnen“ nach der Abgeordnetenhaus Wahl 2011, heftig kritisiert. Umso erstaunlicher ist es, dass auch im Vorstoß von Jan Stöß alle bisherigen Vorschläge unbeachtet bleiben. Ein IBA-Thema kann nur in einem transparenten und ergebnisoffenen Prozess entwickelt werden, der von einem breiten politischen, zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Spektrum getragen wird. Eine offene Debatte hat zum IBA Thema „Rekonstruktion der historischen Mitte“ nicht stattgefunden, im Gegenteil, die Debatten um den Ort in den vergangenen Jahren haben gezeigt, wie weit Politik, Wirtschaft, Fachöffentlichkeit und die Stadtgesellschaft von einer gemeinsamen Vision entfernt sind. Der Vorschlag von Jan Stöß fordert einseitig die Bebauung, er übergeht damit nicht nur alle bisherigen und laufenden Debatten zum Ort wie zur IBA überhaupt, sondern widerspricht zudem massiv der – auch von SPD und CDU – immer wieder geforderten Prozesskultur und der verstärkten Partizipation „von unten“.
3. Partizipation und Mitwirkung – für wen?
Lokale Initiativen, Baugruppen und -genossenschaften wurden mittlerweile als wichtige Akteure der kreativen und innovativen Stadtentwicklung und -gestaltung anerkannt. Berlin gilt als Experimentierfeld für innovative und selbstbestimmte Ansätze in der Stadtentwicklung und Architektur. In der historischen Mitte – einem Bereich Berlins, auf dem bei der Ausweisung als Bauland nicht nur umfangreiche Restitutionsansprüche [3], sondern auch höchste finanzielle Erwartungen des Immobilienmarktes liegen würden – ist ein Austesten von zukunftsweisenden, innovativen und partizipativen Ansätzen in Architektur und Städtebau nicht zu erwarten und nur schwer realisierbar. Auf das viel diskutierte Thema „Wohnen“ mit dem Versprechen zu reagieren, hier bezahlbare Wohnungen schaffen zu wollen, ist politisch nicht haltbar und ökonomisch äußerst fragwürdig.
Es stellt sich zudem die Frage, was eine Bauausstellung auf dem Rücken von bestehenden oder lang vorbereiteten Bebauungsplänen (z.B. für den Petriplatz oder den Molkenmarkt) im erforderlichen Zusammenspiel von Städtebau und Architektur überhaupt thematisieren und leisten könnte? Hier droht eine IBA schnell in einer Diskussion über Fassadenarchitektur stecken zu bleiben.
4. Konzentration auf die Außenstadt – dort wächst Berlin!
Berlin wächst und es stellt sich die brisante Frage, wo und wie dieses Bevölkerungswachstum untergebracht werden kann – und zwar sozialverträglich, die Anforderungen des Klimawandels und der Energiewende berücksichtigend, ökonomisch machbar und gestalterisch ansprechend. Dieses Wachstum der Stadt bietet die Chance, die „innere Peripherie“ zu reurbanisieren und die problematischen städtebaulichen Strukturen gestalterisch und funktional zu verbessern. Eine nachhaltige und integrierte Stadtentwicklung steht und fällt mit der Verdichtung der Außenstadt – in der heute immerhin schon 2/3 der Berlinerinnen und Berliner leben. Hier sozial und funktional gemischte Wohn- und Lebensräume zu schaffen und diese vor allem mit nachhaltigen Mobilitätsformen in die Stadt einzubinden, ist eine große Zukunftsaufgabe.
Bei aller Diskussionswürdigkeit des derzeitigen IBA-Konzeptes „Draußenstadt wird Drinnenstadt“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt und des Zeitpunktes 2020 wurde hier richtig erkannt, wo Berlin den Herausforderungen der Zukunft begegnen muss: in der Außenstadt, d.h. vor allem in den Gebieten außerhalb des S-Bahnrings. Das vorliegende Konzept muss in den kommenden Monaten konkretisiert und weiterentwickelt werden, wofür wir einen konstruktiven Vorschlag zum Thema „Innere Peripherie reurbanisieren“ erarbeitet haben, der auf dem gemeinsam mit Harald Bodenschatz und Hildebrand Machleidt entwickelten IBA-Vorschlag „Radikal Radial“ basiert. An den Radialstraßen verdichten sich in besonderer Weise die genannten Herausforderungen und eine räumliche Fokussierung der IBA auf einige ausgewählte Radialstraßen kann zu einer inhaltlichen Schärfung des Konzeptes beitragen.
5. Die Außenstadt braucht einen „Ausnahmezustand auf Zeit“ – eine IBA!
Für die Herausforderungen von historischen Stadtzentren wurden in den vergangenen Jahren in Städten wie Dresden, Potsdam oder Frankfurt am Main bereits – durchaus kontroverse – planerische Ansätze entwickelt. Erfahrungen aus diesen Städten müssen in Berlin weiterentwickelt werden – damit lässt sich jedoch keine IBA begründen. Wie in der historischen Mitte Berlins, einem Ort, der perfekt an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen ist, mit dem problematischen Erbe der autogerechten Stadt zukunftsfähig umzugehen ist, ist eher eine Frage der Finanzierbarkeit der Umbaumaßnahmen, als mangelnder städtebaulicher Ideen. Angesichts erfreulicher Touristenströme, der vorhandenen Wohnbevölkerung in den Bauten aus der DDR-Zeit, ihrer Zentralität sowie vielfältigster kultureller und stadthistorischer Anziehungspunkte dürfte die durchmischte, lebendige, ästhetisch ansprechende Gestaltung dieser Räume Verwaltung, Planer und Architekten eigentlich nicht überfordern.
Die wirklich drängenden und teilweise unbequemen Herausforderungen, für die es bislang keine Patentrezepte gibt, liegen jedoch an anderen Orten – und nur für solche äußerst schwierigen und neuen Fragen lohnt das Einberufen einer IBA. In der Außenstadt stößt die Planung, nicht nur in Berlin, mit ihren bisherigen Ansätzen und Instrumenten an Grenzen, hier könnte eine IBA einen Paradigmenwechsel markieren und Antworten etwa auf die folgenden Fragen finden:
- Wie kann nachhaltig bezahlbarer und dennoch attraktiver Wohnraum geschaffen werden, ohne große Förderprogramme, aber dennoch in Quartieren mit sozialer und funktionaler Mischung?
- Wie können die Stadtteilzentren und die Nahversorgung in den Außenbezirken gestärkt und städtebaulich/architektonisch qualifiziert werden?
- Wie kann in Gebieten, die noch nicht optimal an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sind, planerisch der Abschied von der autogerechten Stadt vollzogen werden?
Eine IBA hat die Aufgabe, Wege eines neuen Städtebaus im Experiment zu konkretisieren und städtebauliche Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen zu entwickeln. Eine IBA ermöglicht Experimente und eröffnet Spielräume. Dieser Charakter der IBA muss durch eine außergewöhnliche Qualität des IBA Themas und Ortes erhalten bleiben, sonst sind eine Inflation und ein Abstumpfen des Instrumentes zu befürchten.
Die geäußerten Überlegungen zu einer „IBA historische Mitte“ lassen nicht erwarten, dass diese – für eine IBA grundlegenden – Eigenschaften erfüllt sind. Wir sehen daher in einer „IBA historische Mitte“ kein aussagekräftiges und tragfähiges Konzept für Berlin. Dieser Vorschlag würde das Potenzial Berlins, eine international beachtete Modellstadt für nachhaltige Stadtentwicklung, Städtebau und Architektur zu werden, nicht ernst nehmen und zudem drohen, das Instrument IBA zu beschädigen.